Kollektive Existenzangst

(Noch in Arbeit)

Kollektive Existenzangst

In unserer modernen Gesellschaft gibt es eine Art von Angst, die besondere Beachtung verdient: kollektive Existenzangst. Individuelle Existenzangst kennen wir alle. Sie zeigt sich in der bangen Frage, ob die eigene Existenz gesichert ist. Bleibt das eine persönliche Sorge um den eigenen Arbeitsplatz, die Anzahl der Kunden oder die Alterssicherung, gibt uns die Angst Energie, unser Leben in die eigene Hand zu nehmen und umsichtig zu handeln. In meinem Buch „Negative Gefühle?“ beschreibe ich ausführlich, wie wir mit unserer persönlichen Existenzangst positiv umgehen können.

Hier geht es mir um einen anderen Zusammenhang: Oft wird die persönliche Sorge um die eigene Existenz nämlich zusätzlich von einer viel umfassenderen Angst gespeist. Es ist Existenzangst, die ein Kollektiv, ja, eine ganze Gesellschaft erfassen kann. Es ist die Befürchtung, nicht nur die persönliche Absicherung, nein, das ganze System, in das wir alle eingebunden sind, könnte zusammmenbrechen.

An dieser Stelle wird unsere persönliche Sorge durch eine Ebene aufgeladen, auf der die Gesellschaft insgesamt von einer unterschwelligen Angst durchzogen ist. Und wir alle nehmen Teil, an diesem Feld aus untergründiger Angst, ob wir das so direkt zuordnen können oder nicht.

Für diese kollektive Ebene von Existenzängsten reicht es nicht, nur unsere eigene Angst mit Zuwendung zu versorgen und zu integrieren. Wir müssen den Blick von uns selbst lösen und uns die gesellschaftlichen Zusammenhänge anschauen. Dazu ein Blick auf kollektive Existenzangst in verschiedenen Epochen der Menschheit.

Kollektive Existenzangst in einer Kultur der Verbindung

Als wir noch in Sippen und Stämmen zusammen lebten, gab es ebenfalls Unsicherheit, Knappheit und Not. Und manchmal erfasste sie das ganze Kollektiv. Die Angst, nicht zu überleben, führte jedoch dazu, dass wir uns noch inniger mit den Quellen des Lebens verbanden. Wir erweiterten unsere Kenntnisse über essbare Pflanzen und die Gewohnheiten der Wildtiere, und wir brachten Techniken und Werkzeuge hervor, wie Feuermachen und Pfeil und Bogen. Später entwickelten wir indirektere Systeme unsere Existenz zu sichern, wie Landwirtschaft und Viehzucht. Aber auch hier: Kam es zu Dürren oder Plagen, hatte unsere Existenzangst Ansatzpunkte in der Natur. Wir rückten noch stärker zusammen und verbanden uns noch tiefer mit der Natur. Wir lernten, die Mondzyklen zu verstehen und Wasseradern aufzuspüren. Wir entwickelten Techniken des Brunnenbaus und erhöhten die Vielfalt unserer Lebensmittel, indem wir unsere Kenntnisse über Ackerbau und Viehzucht erweiterten.

Kollektive Existenzangst in der Kultur der Trennung

Heutzutage ist unsere Lebensweise von der „Dreifachen Trennung“ geprägt. Von der Trennung von uns selbst, von unseren Mitmenschen und von der Natur. Wir leben meist vereinzelt in großen Städten, und der Kontakt zu unseren Mitmenschen ist oberflächlich und führt nur selten zu authentischer Verbindung. Jeder einzelne versucht, sich selbst und seine Familie durchzubringen. Authentische Zugehörigkeit zu einem größerem sozialen Feld kommt nur als Einzelfall vor. Schon allein diese von der Dreifachen Trennung geprägte Lebensweise ist eine Quelle kollektiver Existenzangst.

Zudem hängt unsere kollektive Existenz von Systemen ab, die so weit von den Quellen des Lebens entfernt sind und so komplex miteinander verwoben, dass wir sie kaum durchschauen und noch weniger beeinflussen können.

Krisen, die von Spekulanten in entfernten Kontinenten ausgelöst werden, können in „Echtzeit“ um den Globus rasen und nicht nur unseren Arbeitsplatz, sondern unsere gesamte Existenz gefährden. Eine erste Reaktion auf deshalb aufkeimende Existenzangst ist, dass wir versuchen, uns noch stärker in dieses krisenanfällige System einzubinden. Während die Existenzangst früher jedoch in die stärkere Verbindung führte, geht es jetzt in Richtung stärkere Konkurrenz und Trennung. Auch wenn wir schon kurz vor dem Burn-Out stehen: Wir machen einen Fortbildungskurs nach dem anderen und versuchen, bei unseren Arbeitgebern und der für uns maßgeblichen Gruppe einen guten Ruf zu erlangen. Wenn wir dabei andere Mitbewerber ausstechen, umso besser. Vielleicht gelingt es uns so, einen besseren Arbeitsplatz zu ergattern!

Aber ist er auch sicher? Die nächste technische Innovation oder die nächste Krise könnte unseren Arbeitsplatz vernichten. Ein untergründiger Zweifel wird also weiter an uns nagen und unser Gefühl von Sicherheit untergraben. Einfach, weil das System, von dem wir abhängen, so viel Trennung erzeugt und so weit von den Quellen des Lebens entfernt ist.

Zusätzlich kommt hinzu, dass wir mit einer Fülle von widersprüchlichen Informationen über dieses undurchschaubare System überschwemmt werden. Viele erfahren von der enormen Schuldenkrise in dominanten Wirtschaftszonen schwelt und fragen sich: Steht ein neuer Crash bevor? Und wenn ja, wann wird er kommen? Und wird er so schwer sein, wie die Weltwirtschaftskrise 1929?

Und zugespitzt wird diese kollektive Unsicherheit dadurch, dass wir als Menschheit nicht nur diese komplexen und undurchschaubaren Systeme geschaffen haben, sondern dass diese auch noch die Quellen des Lebens selbst gefährden. Wir sind vielleicht noch nicht direkt davon betroffen, aber wenn wir uns nicht von diesen Informationen fernhalten, erfahren wir von den Auswirkungen.

Wir hören, dass unsere Biosphäre an einem fulminanten Artensterben leidet. Wir erfahren, in welchem Tempo fruchtbarer Boden zurückgeht und die Verwüstung fortschreitet. Und wenn uns klar wird, dass Trinkwasser weltweit knapper wird und dass die Klimakrise all diese Faktoren verschärft, dann schürt das untergründig die kollektive Existenzangst.

Und obendrein die Kriegsgefahr
Und wie sieht es weltweit mit den jeweiligen Machthabern aus? Handeln sie vertrauenswürdig und besonnen, um uns aus den tiefsitzenden Krisen herauszuführen? Leider können wir darauf eben nicht vertrauen. Statt die drängenden Probleme der Menschheit anzugehen, wird um geopolitische Machtpositionen gerungen. Politiker und Medien scheuen sich nicht, Konflikte zu schüren und Kriegshetze zu betreiben. Auch das ist gerade in diesen Zeiten ein weiterer Faktor der kollektiven Existenzangst.

Was tun, wenn wir mit kollektiver Existenzangst zu tun haben?

Es gibt drei Hauptarten, wie wir versuchen, damit umzugehen
Erstens: Abspalten. Wir versuchen, nicht hinzuhören, wenn es um diese Themen geht. Oder wir „vergessen“ sie rasch wieder und gehen zur Tagesordnung über, da wir „ja doch nichts tun können“. Wir spalten uns von unserer Sorge um unser Land, um die Menschheit und die Erde ab.

Der Teil, der sich sorgt, ist jedoch genau der Teil, dem das Wohlergehen der Menschen unseres Landes am Herzen liegt, der mit dem Geschick der Menschheit und der Erde verbunden ist. Uns davon abzuspalten trennt uns von dieser Verbindung. Es stärkt die innere Trennung und schiebt die Angst nur ein paar Stockwerke tiefer.
Gleichzeitig werden wir dadurch noch stärker zum Teil des Problems. Joana Macy hat in diesem Zusammenhang sinngemäß gesagt: „Die größte Gefahr geht nicht von einem Atomkrieg aus, sondern von unserer Apathie darüber.“

Zweitens: Zur Alarmglocke werden. Wir realisieren das Alarmierende an unserer Situation als Menschheit und halten die Apathie, die wir darüber um uns herum sehen, nicht aus. Wir entscheiden uns, dieses Thema in den Mittelpunkt unseres Lebens zu stellen. Und sprechen darüber, ob andere es hören wollen oder nicht. Im Extremfall identifizieren wir uns mit einer bestimmten Version von Weltrettertum – und erzeugen wiederum Trennung von denen, die nicht so alarmiert sind oder einen anderen Weg zur Rettung der Welt gehen.

Drittens: Wir schwanken zwischen den zwei Polen. Mal spalten wir das Thema ab, dann wieder lassen wir es zu, davon alarmiert zu sein – und werden vielleicht aktiv. Dann verzweifeln wir wieder an der Hilflosigkeit und drücken sie wieder weg.

Viertens: Und das ist der Variante, die ich empfehle: Wir geben dem Umgang mit kollektiver Existenzangst einen angemessenen Platz.
Eins ist nämlich klar. Es nützt nichts, wenn wir die Angst wegdrücken, und es hilft genauso wenig, wenn wir auf die Gefahr starren, pausenlos aktiv sind – und dabei die Fähigkeit verlieren, das Leben in der Gegenwart zu genießen.

Sinnvoller ist es, der Angst bezüglich unseres Kollektivs einen Platz zu geben, den wir bewusst gestalten. Das heißt auch, eine Balance zu finden zwischen dem Verarbeiten von Informationen einerseits und dem Umsetzen in Stellungnahme und Aktion andererseits.
Ein erster Schritt dazu ist, zu verstehen, wie es dazu gekommen ist, dass unsere Gesellschaft von der Dreifachen Trennung geprägt ist, weshalb sie in ihren Grundfesten bedroht und von kollektiver Existenzangst durchzogen ist.

Jeder wird dabei seine eigene Erklärung und Position finden.

Meine persönliche Haltung dazu wird am direktesten in meinen Artikeln zur dreifachen Integration ausgedrückt.

Die Dreifache Integration für jeden Einzelnen ==>

Gemeinschaften der Dreifachen Integration  ==>